D. Sabean u.a. (Hrsg.): Kinship in Europe

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Titel
Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900)


Herausgeber
Sabean, David Warren; Simon Teuscher, Jon Mathieu
Erschienen
Oxford 2007: Berghahn Books
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ulf Wendler

Verwandtschaft in Europa zwischen 1300 und 1900 – dies ist das weit gespannte Thema dieses Buches. Die Aufsatzsammlung basiert auf Vorträgen, die zwischen 2000 und 2002 auf mehreren Tagungen gehalten wurden. Seine Geschlossenheit erhält der Band durch die zugrunde liegenden Thesen, welche sich in der Gliederung wiederspiegeln.

Das Werk besteht aus zwei Teilen mit je einer kurzen Einleitung. Der erste Abschnitt behandelt die Entwicklung von den mittelalterlichen zu den frühneuzeitlichen Verwandtschaftsmodellen, der zweite jene von den frühneuzeitlichen zu denen des 19. Jahrhunderts. Zwei Aufsätze führen aus historischer und ethnologischer Sicht in die Gesamtthematik des Buches ein.

Die Herausgeber wenden sich gegen herkömmliche Vorstellungen von der sich während der letzten Jahrhunderte kontinuierlich verringernden Bedeutung der Verwandtschaftsstrukturen in Europa. Die Konzepte von Verwandtschaft veränderten sich im Laufe der Zeit. Dabei identifizieren die Herausgeber zwei Phasen entscheidenden Wandels: Zwischen Mittelalter und früher Neuzeit sowie in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Im Übergang vom mittelalterlichen zum frühneuzeitlichen Gesellschaftssystem entwickelten und verstärkten sich patrilineare Verwandtschaftsformen und die Bedeutung der Primogenitur. Diesen Veränderungen lagen Staatsbildungsprozesse und gewandelte Eigentumsrechte zugrunde. Die horizontalen Beziehungen der lebenden Blutsverwandten bzw. angeheirateten Verwandten traten gegenüber der vertikalen Generationenfolge in den Hintergrund. Bei der Generationenfolge wurden Geschlecht und Stellung der Nachkommen wichtiger. Dies zeigt sich am deutlichsten an der Vererbung. Die wichtigsten Teile des Erbes (Landbesitz, Titel, Stellung) wurden ungeteilt an den ältesten Sohn weitergegeben, während jüngere Söhne und Töchter von der Nachfolge ausgeschlossen wurden. Zudem verschmolz der Besitz von Ehepartnern nicht mehr miteinander, sondern wurde getrennt gehalten. Nach dem Tode eines Partners waren die Kinder die Haupterben, nicht die Witwe bzw. der Witwer.

Nach 1750 erfuhren die frühneuzeitlichen Verwandtschaftsverhältnisse grundlegende Veränderungen. Der andel war verknüpft mit der Bildung von Klassen, der Modernisierung des politischen Bereichs und der Dynamik von Kapitalismus und Industrialisierung. Die vertikalen Verwandtschaftsstrukturen der Abstammung und der Nachfolge in sozialen Positionen verloren in dieser Periode zu gunsten horizontaler Strukturen an Bedeutung. Informelle Allianzen oder auch formelle Zusammenschlüsse und Zuneigung wurden wichtiger als Abstammung und Erbe. Kennzeichnend für diese Periode ist der Wandel der Ehevorstellungen. Die Heiraten wurden in Bezug auf Klasse, Milieu und Blutsverwandtschaft mehr und mehr endogamisch. Während in der frühen Neuzeit die Eheleute nicht mit einander verwandt waren, traten nach 1750 vermehrt Partner vor den Traualtar, zwischen denen bereits mehr oder minder enge Verwandtschaftsbeziehungen bestanden (beispielsweise Cousins und Cousinen). Die horizontalen Verwandtschaftsbeziehungen wurden in vieler Hinsicht (z.B. durch Patenschaften und Vormundschaften) gestärkt. Eine bedeutende Rolle bei Aufbau und Pflege dieser Netzwerke spielten die Frauen.

Der Sammelband ist ein anregendes Werk, das zu fruchtbaren Diskussionen Anlass geben wird. Die vorgestellten Thesen eröffnen einen neuen Blick auf grundlegende Strukturen der europäischen Geschichte seit dem Spätmittelalter. Es ist zu wünschen, dass künftige Forschungen die Veränderungen der vergangenen Jahrhunderte bei den Verwandtschaftsbeziehungen stärker berücksichtigen.

Zitierweise:
Ulf Wendler: Rezension zu: David Warren Sabean, Simon Teuscher, Jon Mathieu (Hg.): Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900). New York-Oxford, Berghahn Books, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 495-496.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 495-496.

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